#0207 Hansaviertel

Ein Wohnviertel als Ausstellung

Du kennst nun schon die Gropiusstadt, die aus guten Gründen nach dem berühmten Architekten benannt ist. Aber es geht noch krasser, und zwar im Hansaviertel. Das ist eine Architekturausstellung unter freiem Himmel. Sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Begleite mich in das Viertel in Berlin-Mitte und lerne seine Geschichte der Interbau 1957 kennen.

Zeichnung der Stadtkönigin, die durch das Hansaviertel läuft
Auch im Berliner Hansaviertel ist Walter Gropius architektonisch vertreten, sein Beitrag ist hier zu sehen.

Die Unité d’Habitation von Le Corbusier

Auch Corbusierhaus genannt, befindet es sich nicht im Hansaviertel in Mitte, sondern in Charlottenburg. Doch das nur aus Platzgründen, es gehört dazu. Wie ich das meine, erfährst du noch. Aber jetzt auf nach Charlottenburg, wir schauen uns die große Wohnmaschine als erstes an!

Das Corbusierhaus ist Teil einer Serie des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier. Er hat fünf Unités d’Habitation gebaut, das Corbusierhaus ist das einzige, das in Deutschland steht. Fun Fact am Rande: Die deutschen Behörden waren damals schon sehr … na ja, deutsch, und haben Le Corbusier bei den Raummaßen, z. B. für die Höhe der Wohnungen, Vorgaben gemacht. An die musste er sich halten und konnte seine eigenen Maße nicht anwenden. Le Corbusier soll sich später deswegen von dieser Unité d’Habitation hier distanziert haben. Ach ja …

Corbusierhaus Unité d'Habitation in Berlin
Zu groß für das Hansaviertel und deswegen in der Nähe des auch sehr großen Olympiastadions gebaut: die Berliner Unité d’Habitation von Le Corbusier, auch Corbusierhaus genannt

Unité heißt Einheit und habiter heißt Wohnen, diese Häuser Le Corbusiers kann man also mit Wohneinheit übersetzen. Es sind sowohl Wohnungen als auch Einrichtungen des alltäglichen Lebens darin vorgesehen. Tatsächlich gibt es einen kleinen Laden im Erdgeschoss des Hauses. Es gibt auch ein Foyer mit Bildern und einer Ausstellung über das Haus an sich.

Flure heißen Innenstraßen und die Zimmer sind hier übereinander

Die Wohnungen mit mehr als einem Zimmer sind in zwei Etagen angelegt. Sogenannte Maisonette-Wohnungen, in denen man durch eine interne Treppe in das andere Stockwerk gelangt. Deshalb hat nicht jede Etage einen Flur, der hier nicht Flur sondern Innenstraße heißt. Stehe ich also auf einer Innenstraße vor einer Wohnungstür, befindet sich ein Teil der Wohnung über meinem Kopf. Würde ich in eine Wohnung reingehen, wäre dort also eine Treppe, die ins obere (manchmal auch untere) Stockwerk führt, vor mir. Noch weiter vorn dann in den meisten Fällen ein Zimmer mit Loggia, die über zwei Stockwerke reicht. So sind die Wohnungen immer ein Zimmer breit und die Zimmer dafür übereinander und „von vorn nach hinten“ geordnet. Kompliziert? Hier hast du es ganz genau mit den unterschiedlichen Wohnungstypen erklärt.

Ist das Corbusierhaus ein Vorläufer des Plattenbaus?

Du hattest schon befürchtet, heute kommt gar nichts über Plattenbau, oder? Ha! Doch! Zumindest so halbwegs. Die Unités d’Habitation sind so eine Art Vorläufer des Plattenbaus. Le Corbusier plante sie für das serielle Bauen. Auch war das Projekt als sozialer Wohnungsbau gedacht, vom Senat gefördert, der für eine breite Masse erschwinglich sein soll. Das Haus in Berlin verfügt über 527 Wohnungen auf 17 Etagen. So ist diese Einheit wie eine Stadt im Haus gedacht. So wie die High-Deck-Siedlung steht auch das Corbusierhaus unter Denkmalschutz.

Na gut, wenn’s am spannendsten ist, soll man gehen. Du kannst später noch den Bericht des Berliner Mietervereins lesen, wenn du mehr über das Corbusierhaus erfahren möchtest. Nun steigen wir in die S-Bahn und fahren zum eigentlichen Hansaviertel!

Im Vorgarten des Bundespräsidenten

Nun, es ist nicht direkt sein Vorgarten, aber das Hansaviertel liegt am S-Bahnhof Bellevue so wie das gleichnamige Schloss, in dem der Bundespräsident seines Amtes waltet. Ist schon eine Hausnummer, oder? Du fragst dich, wieso da eine Plattenbausiedlung steht? Nein, nein, das ist keine Plattenbausiedlung! Hier hat jedes Haus seinen eigenen weltberühmten Architekten. Warte, ich bin keine Märchentante, die Quatsch erzählt! Sieh dir mal auf dem nächsten Bild die vier Punkthochhäuser an, die gleich den Auftakt unserer Tour bilden.

Siehste?

Architekten der Häuser im Berliner Hansaviertel v. l. n. r.: Johannes Hendrik Van den Broek und Jacob Berend Bakema, Gustav Hassenpflug, Raymond Lopez und Eugène Beaudouin, Hans Schwippert
Architekten der Häuser v. l. n. r.: Johannes Hendrik Van den Broek und Jacob Berend Bakema, Gustav Hassenpflug, Raymond Lopez und Eugène Beaudouin, Hans Schwippert

Ich erzähle mal ganz von vorn. Wie schon so oft beginnt das Ganze in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs. Das Hansaviertel ist sehr zentral gelegen und die meisten Bauten waren zerstört worden. So dicht und eng, wie es vorher gewesen war, wollte man es nicht wiederaufbauen.

Dazu kam noch, dass Westberlin zwar noch keine Mauer hatte, aber dennoch ziemlich isoliert mitten in der DDR war. Den Hauptstadtstatus hatte es an Bonn verloren und so geriet es im Gegensatz zum Rest der BRD wirtschaftlich ins Hintertreffen. Dem musste entgegengewirkt werden, und außerdem musste man Wohnraum schaffen. In der DDR hingegen war Berlin die Hauptstadt geblieben und man baute die Stalinallee als Prunkobjekt. Der Konkurrenzkampf hatte begonnen.

Die internationale Bauausstellung 1957 im Hansaviertel

Die Bauausstellung sollte nicht nur für neuen Wohnraum und einen Wiederaufbau des Hansaviertels* sorgen, sondern Berlin in internationales Licht rücken, Bauherren und Investoren anlocken und die Wirtschaft ankurbeln. 1951 begannen die Planungen und 1953 fand ein Architekturwettbewerb statt. Es waren 53 Architekten aus aller Welt eingeladen und 35 Entwürfe wurden umgesetzt. Ja, da steht wirklich ein Gebäude von Aalto, eins von Schwippert, eins von Gropius und viele mehr. Jedes sieht anders aus.

Schwedenhaus im Berliner Hansaviertel, Architekten: Fritz Jaenicke, Sten Samuelson, Seite mit blauen Balkonen und roten Wasserrinnen
Das Schwedenhaus von Fritz Jaenicke und Sten Samuelson

Doch noch mal zur Interbau, die 1957 stattfand. Es wurden Punkthochhäuser gebaut, Scheibenhochhäuser, Zeilenbauten sowie ein- oder zweigeschossige Häuser. Insgesamt entstanden im Hansaviertel 1300 Wohneinheiten, eine Bibliothek, zwei Kirchen, eine Kita, eine Grundschule und ein Einkaufszentrum. Auch die Akademie der Künste wurde im Rahmen der Interbau in das Hansaviertel gebaut. Später fand auch das Grips Theater hier seine Heimat. Diese Gebäude sind gebaut worden, um zu bleiben, doch es gab auch vorübergehende Bauten, Pavillons zum Beispiel, und eine Seilbahn, die nach der Ausstellung wieder abgebaut wurden.

Leider kann ich dir keine Eindrücke der Interbau schildern, denn da war ich noch nicht geboren. In diesem Video des Bürgervereins Hansaviertel e. V. erzählen dir aber Anwohner*innen der ersten Stunde und sogar ein beteiligter Architekt, wie das damals gewesen ist. Der Bürgerverein ist auch verantwortlich für die sehr gut gelungene Website des Hansaviertels. Dort findest du jeden Architekten, eine virtuelle Tour und Beschreibungen der Häuser sowie der Interbau an sich. Das soll aber keinen Besuch ersetzen, ist das klar? Und apropos Besuch, jener Bürgerverein bietet sogar geführte Touren an.

Luciano Baldessari, Grips Theater und U Hansaplatz; Hansaviertel Berlin
Das Grips Theater und dahinter das Punkthochhaus von Luciano Baldessari

Der Tiergarten fließt ins Hansaviertel

Das Konzept war eine lockere Bebauung, die trotzdem viel Wohnraum bietet, und viel Grün. Das hat man im benachbarten Tiergarten allemal. Und das Hansaviertel ist so angelegt, dass es geradezu in das Grün übergeht. Die flacheren Bauten sind extra in Tiergartennähe gebaut worden.

Ich werde jetzt am besten gar nichts weiter sagen, denn diese architektonische Viefalt musst du schon mit eigenen Augen gesehen haben. Eins ist noch spannend zu wissen: Die Schwangere Auster … äh … natürlich das Haus der Kulturen der Welt gehört ebenfalls zur Interbau. Der amerikanische Architekt Hugh A. Stubbins stellte statt eines Wohngebäudes gleich eine ganze Kongresshalle hin. Auch sie ist etwas außerhalb der Bauausstellung gelegen.

Noch ein Nachwort: Das Hansaviertel sowie einige andere Großwohnsiedlungen sind infolge von gewaltiger Zerstörung durch den Krieg entstanden, und zu der Zeit des Kalten Krieges. Es ist im Anbetracht der aktuellen Situation in der Ukraine schwer, darüber zu schreiben und wahrscheinlich für dich auch schwer, davon zu lesen. Und es gehört doch zur Geschichte dazu. Leider bekommen wir dieser Tage zu spüren, dass der Frieden ein gefährdetes Gut ist. Der Krieg schafft unnötige Opfer und unfassbares Leid. Treten wir gemeinsam für den Frieden ein!

Nächstes Mal gehen wir weiter zurück in der Zeit. Wir schauen uns die Splanemann-Siedlung in Lichtenberg an, die erste Siedlung Deutschlands in industriell gefertigter Bauweise. Mit anderen Worten: die ältesten Plattenbauten Deutschlands. Da war an ein Corbusierhaus noch nicht zu denken

*gemeint ist das südliche Hansaviertel, nur ein Teil des gesamten Hansaviertels.

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