Ich
bin wie so oft auf der Suche nach alten Bahngleisen und Bahnanlagen,
auf denen ich herumkraxeln kann, und werde zwischen Friedrichshain
und Lichtenberg fündig. Es ist teilweise eingezäunt, teilweise wird
es von der Deutschen Bahn genutzt. Kurz vor einem Zaun stehen ein
paar Bäume auf einem kleinen Sandhügel. Im Schatten der Bäume sehe
ich, wie eine Frau eine Katze füttert und streichelt, mitten auf
öffentlichem Gelände.
Sie erzählt, dass sie vor einem Jahr losgegangen war, um an dieser Stelle ihre eigene Katze zu suchen. Stattdessen hat sie diese hier kennengelernt und ist ihr gefolgt. Sie hat festgestellt, dass die Katze allein in einer Ruine lebt. Seitdem kommt sie täglich an diesen Ort, um die Katze zu füttern. Was sie übriglässt, fressen Füchse später. Am nächsten Tag räumt sie das Schälchen weg und bringt ein neues.
Die Stadt erzählt Geschichten. Im Rahmen eines Kunstfestivals wurden in Neukölln Zettel an Bäume gehängt. Die Bewohner Neuköllns erzählten darauf ihre Geschichten und Erlebnisse, die mit Neukölln zu tun haben. Ein Zettel war anders und beeindruckte mich sehr. Die Leser wurden darauf gefragt, ob sie schon einmal die Linie bemerkt hätten, die über mehrere Straßen Neuköllns auf dem Gehweg entlanggefräst ist. Natürlich musste ich dem, im wahrsten Sinne des Wortes, sofort nachgehen. Ich verfolgte die Linie. An manchen Stellen sind die Gehwegplatten bereits ausgetauscht worden, sodass sie unterbrochen ist, aber es gibt diese Linie. Der Zettel wurde zum Festival 48 Stunden Neukölln im Jahr 2015 aufgehängt, doch jedes Mal, wenn ich diese bestimmte Strecke, oder Abschnitte dieser, entlanggehe, fällt sie mir wieder auf. Wenn man einmal auf etwas aufmerksam gemacht wurde …
Ich fotografierte den Zettel damals, doch nun finde ich das Foto nicht wieder. Vielleicht gerät dieser Beitrag ja an die Person, die diesen Zettel aufgehängt hat. Oder an jene Person, die über mehrere Straßen eine Linie in den Gehweg gefräst hat.
„Was
ist für Dich romantisch?“ So oder so ähnlich lautete einmal eine
Frage in einem Freundebuch, und meine Freundin hat sie folgendermaßen
beantwortet: „Jeder Grashalm hinter einer Fabrik kann romantisch
sein.” Kitschig? Vielleicht ein bisschen, doch es drückt aus,
dass es bei Romantik auf die Betrachtungsweise ankommt. Und nicht
nur, wenn es um Romantik geht. Es gibt lauter kleine Kunstwerke, die
Natur und Mensch ständig, oft unbeabsichtigt, schaffen. Spannend
finde ich auch, wenn Natur und Menschengeschaffenes
aufeinandertreffen.
Am Rande einer
weiten Rasenfläche habe ich vor Jahren einen alten Stuhl entdeckt.
Der Stuhl besteht aus einem weißen Rohrgestell und gelber
Plastiklehne und Sitzfläche. Setzte man sich darauf, konnte man in
Ruhe den Ausblick über die Grasfläche genießen. Es schien mir,
dass der Stuhl dort nicht zufällig stand.
Ich bin öfter an
diesem Ort und verfolge die Geschichte dieses Stuhls schon länger.
Inzwischen wird die Grasfläche nunmehr nach und nach zu einer
riesigen Baustelle. Jemand hat den Stuhl umgestellt, mehrmals, denn
einige Zeit lang konnte ich ihn nicht finden und dachte schon, jemand
hätte ihn mitgenommen.
Dann war er eines
Tages wieder da, an einer anderen Stelle, in richtiger Position, um
die Geschehnisse auf der Baustelle zu überblicken. Er wirkt nun, als
könnte dort wirklich jemand sitzen, der die Bauarbeiten überwacht.
Vorher, so scheint es, wurde er an die andere Stelle gestellt, damit
man einen schönen Ausblick hatte, während man darauf saß.
Wer hat den Stuhl
wohl dort hingebracht und warum? Vielleicht wollte ihn jemand einfach
dort „entsorgen“ und jemand anders fand ihn und hat ihn extra
wegen des Ausblickes dorthin gestellt. Vielleicht hat ihn jemand
genau deswegen einfach mitgebracht. Vielleicht gehört er der Firma,
die dort baut. Wer hat den Stuhl wohl dorthin gestellt?